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"Mein Vater", sagt Bruce Gilden, "war ein Gangster und man hat mir
erzählt, dass er einen pinkfarbenen Imperial Wagen fuhr. An das Auto kann ich mich erinnern, an
die Farbe nicht." Das Zitat von Bruce Gilden, dem Mann der Straße unter den renommierten
Magnum-Fotografen, verrät das Geheimnis seiner bestechenden Gangsterporträts: Statt in Farbe
und aus der Distanz der Mittelschicht sind seine Bilder schwarz-weiße Schlaglichter, geschossen
auf Atemnähe mit Bandenmitgliedern, Schlägern und Clan-Nachwuchs. Die Ausgabe Nr. 64 der
Reihe stern Fotografie zeigt die beeindruckendsten Arbeiten des bedeutenden Fotografen. Das
Portfolio nimmt den Betrachter mit in die vibrierende Stimmung von Gildens Bildern, der mit Street-
Credibility und gesottener Lakonie ebenso mit harten Jungs aus dem East End wie mit russischen
Schlägern und Gangstern der japanischen Yakuza auf Tuchfühlung geht.
Seine Arbeiten sind alles andere als dezent. Er rückt seinen Protagonisten sprichwörtlich auf die
Pelle: In den Hinterhöfen, Strip-Lokalen und auf den Junkie-Strichen der siebziger und achtziger
Jahre fängt Gilden die wahren Vorbilder des Gangsterklassikers "Good Fellas" von Martin
Scorsese ein. Seine Aufnahmen zeigen die Gewalt von Verbrechern unmittelbar und großporig,
jedoch nicht ohne feine Ironie: Gilden legt auch die martialische Selbstinszenierung frei, das teils
bemühte Muskelspiel, den bewusst kriegerischen Ausdruck. Er schafft es dabei außerdem, die
seltsame Inspiration des Verbrechens einzufangen, die schon Karl Marx beschrieb: Sie wird
ausgelöst von dem Einbruch der Gewalt in die Monotonie unserer Alltagssicherheit. Durch den
konsequenten Einsatz von Blitzlicht schafft Gilden Kontraste, die das Gesehene abstrahieren, bis
nur das Wesentliche bleibt. Indem er dennoch die Hommage meidet, gelingen ihm fesselnde
Menschenstudien von ethnologischer Schärfe.
Der 1946 in Brooklyn geborene Bruce Gilden ist der Pirat unter den Fotografen. Auch seine
eigenen Wurzeln liegen "on the wrong side of the tracks", wie die Amerikaner sagen. Angezogen
von den Unebenheiten der Gesellschaft studiert er nach der Schule erst Soziologie, versucht sich
später im Schauspiel, bevor er zur Kamera findet. Schon in Gildens erster Reportage "Coney
Island" gilt seine Faszination Anblicken, die aus der Normalität herausfallen: über- und
untergewichtigen Badegästen sowie intimen Momenten. Der ausdrucksstarke Realist Gilden
beobachtet die Nuancen von Menschen und Milieus - stets mit großer Integrität. Die Schauplätze
seiner Werke reichen von den Straßen New Yorks bis Haiti, vom eingeschworenen Kreis irischer
Pferdehändler bis zu den Geheimbünden der japanischen Unterwelt.
Art.-Nr. 971245